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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Tödlicher Unfall nach frontalem Einklappen

Am 29.11.06 ereignete sich in einem argentinischen Fluggebiet bei Mendoza ein tödlicher Gleitschirmunfall. Der Pilot war nach einem Frontklapper mit anschließendem Strömungsabriss in felsiges Gelände gestürzt. Er erlitt bei diesem Unfall tödliche Verletzungen.

Pilot: 44-jähriger Deutscher, A-Lizenz seit 1999, B-Lizenz seit 2001.

Gerät: Airwave Sport 1 L, DHV 1-2, Stückprüfung 2003, Nachprüfung 5/2005

Unfallhergang: Der später Verunglückte war Mitglied einer Reisegruppe, die von einem deutschen Tourguide geführt wurde. Am betreffenden Tag hatten die meisten Teilnehmer der Gruppe wegen der anspruchsvollen Bedingungen auf einen Flug verzichtet. Die Piloten des einheimischen Gleitschirmclubs hatten auf die kritischen Flugbedingungen (starker Wind und Turbulenzen) hingewiesen.
Nach Zeugenaussagen hatte der 44-jährige nach dem Start etwa 200 m Höhe gewonnen. In einer starken Turbulenz war sein Gleitschirm frontal eingeklappt. In der Folge kam das Gerät nicht mehr in einen stabilen Flugzustand, es stürzte aus einer Höhe von ca. 200 m ständig im Stall/Sackflug, zum Schluss trudelnd, in die Felsen. Dabei zog sich der Pilot tödliche Verletzungen zu.

Untersuchung: Mit dem Unfallgerät wurde von einem DHV-Testpiloten das Gütesiegel-Testflugprogramm geflogen. Es zeigten sich keine Auffälligkeiten hinsichtlich Tendenzen zum Sackflug. Auch bei den übrigen Testflugmanövern verhielt sich das Gerät im Rahmen der zur Zeit seiner Musterprüfung (2002) gültigen Bauvorschriften für die DHV-Klasse 1-2.
Der Testpilot stellte jedoch fest, dass die Steuerleinen so kurz eingestellt waren, dass der Schirm keinerlei Leerweg auf der Bremse hatte. Dies bestätigte die Vermessung des Schirmes. Beide Steuerleinen waren gegenüber dem DHV-geprüftem Muster ca. 8 cm zu kurz. Der bei den meisten Gleitschirmen serienmäßig eingestellte Leerweg der Steuerleinen von ca. 8-15 cm soll u.a. sicherstellen, dass der Schirm aus Strömungsabriss-Situationen sicher anfahren kann, auch wenn der Pilot die Steuerleinen nicht vollständig gelöst hat. Das war bei dem Unfallgerät nicht der Fall. Bereits minimales Betätigen der Steuerleinen bewirkte ein Anbremsen.

Bei einem Vor-Ort-Termin beim Hersteller, Fa. Airwave, konnte festgestellt werden, dass:
- Am Unfallgerät die richtigen Steuerleinen eingebaut waren.
- Am Unfallgerät die von Airwave verwendete Markierung für die Verknotung der Steuerleine am Griff (schlecht sichtbar) vorhanden war. Diese Markierung entsprach genau der Steuerleinenlänge des DHV-geprüften Musters.
- Die Markierung, an welcher sich der Knoten der zu kurzen Steuerleineneinstellung befunden hatte, nicht von Airwave stammte sondern nachträglich angebracht worden sein muss. Diese Markierung war 10 cm oberhalb (Richtung Kappe) der Werksmarkierung und war im Gegensatz zu den vom Hersteller verwendeten Markierungen (kurzer Längsstrich) ein um die gesamte Leine laufender Querstrich.
- Der Schirm zum Zeitpunkt seiner letzten Nachprüfung (05/2005), durchgeführt von Fa. Airwave, korrekte Steuerleinenlängen aufwies (+ ca. 10 mm im Vergleich zum DHV-geprüften Muster, also etwas zu lang). Airwave legte hierzu das Nachprüfprotokoll vor.

Das lässt den Schluss zu, dass die Steuerleinen von dem verunglückten Piloten selbst verkürzt worden waren. Dieser war der Auftraggeber der letzten Nachprüfung, hat demnach ein Gerät mit korrekt eingestellten Steuerleinen vom Check zurückbekommen.

Vermutungen zur Unfallursache
Nach frontalen Einklappern fahren viele Schirme zögernd an, befinden sich in einer kurzen Sackflugphase, bevor die Strömung wieder vollständig anliegt. Dem Airwave Sport 1 L wurde dies auch im Gütesiegelprotokoll attestiert. In dieser Situation darf der Schirm nicht angebremst werden, sonst droht ein Strömungsabriss. Mit so stark verkürzten Bremsen wie bei dem Unfallgerät müssten diese vom Piloten bewusst bis zum Anschlag gelöst werden, um ein sicheres Anfahren zu gewährleisten. Erfolgt dieses Freigeben nicht absolut vollständig, kommt der Schirm nicht in die Stellung Null-Bremse.
Dadurch kann das Anfahren so stark gestört werden, dass der Schirm im Sackflug bleibt, stärkeres Bremsen kann zum vollständigen Strömungsabriss führen. Da der Schirm nach dem frontalen Einklappen bis zum Aufprall auf dem Boden ständig im Strömungsabriss war, kann vermutet werden, dass der Pilot während des Absturzes die Bremsen nicht genügend frei gegeben hat um den Strömungsabriss auszuleiten.

Sicherheitshinweise
Jeder Schirm benötigt Leerweg auf den Steuerleinen. Leerweg ist der Weg, um den die Steuerleine heruntergezogen werden kann, ohne dass eine der Leinen der Steuerspinne Bremswirkung auf der Hinterkante des Segels ausübt. Wichtig: Die Leinen der Steuerspinne sind unterschiedlich lang. So kann bspw. die mittlere Leine der Steuerspinne bereits „greifen“, während außen noch keine Bremswirkung erkennbar ist.

Viele Piloten glauben, dass dann genügend Leerweg auf den Steuerleinen ist, wenn die Hauptbremseleine, in der Null-Bremse-Stellung, etwas nach hinten ausgeweht wird, wenn sie „einen Bauch macht“. Das ist aber kein sicheres Zeichen, da auch eine zu kurz eingestellte Steuerleine, aufgrund des Widerstandes, den sie der anströmenden Luft bietet, nach hinten ausbauchen wird.

Die meisten Gleitschirm-Hersteller bestimmen in ihren Betriebsanleitungen, dass die ab Werk eingestellte Länge der Steuerleinen nicht verstellt werden darf. Da Luftfahrzeuge gemäß LuftBO nur „ in Übereinstimmung mit den im Betriebshandbuch festgelegten Angaben“ betrieben werden dürfen, sind diese Vorgaben bindend. Der vom Hersteller eingestellte Leerweg der Steuerleinen ist für ein gütesiegelkonformes Flugverhalten des Gerätes erforderlich.
Das DHV-Sicherheitsreferat rät grundsätzlich von einer Verkürzung der Steuerleinen ab. Für ein besseres Handling im Flug können die Bremsgriffe so gehalten werden, dass der Griffsteg in der Handfläche liegt und der Schirm mit Daumen und Zeigefinger geführt wird.

In vielen Fällen verblassen die vom Hersteller angebrachten Einstellmarkierungen schnell und werden mit der Zeit schlecht erkennbar. Besonders bei gebraucht gekauften Schirmen ist das Erkennen einer korrekten oder falschen Bremsleineneinstellung manchmal schwierig. Für jeden mustergeprüften Schirm liegt ein Gerätekennblatt, mit den genauen Längen aller Leinen und Tragegurte vor, das Bestandteil der Betriebsanleitung ist. Auch im Internet auf den Technikseiten des DHV können diese Kennblätter für alle Geräte heruntergeladen werden.
Im Zweifelsfall ist eine Vermessung im Fachbetrieb empfehlenswert.

29.06.07
Karl Slezak
DHV-Sicherheitsreferent

 

 

 

Links: Extrem schlecht erkennbar am 4 Jahre alten Schirm: Die Original-Werksmarkierung der Bremsleineneinstellung.
Rechts: Besser erkennbar, weil jüngeren Datums: Die nachträglich angebrachte Markierung, ca. 10 cm oberhalb der Werksmarkierung