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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Tödlicher Unfall nach seitlichem Einklapper

Tödlicher Flugsportunfall von Robert Steigleder in Bassano am 02.05.01 mit einem Gleitschirm Advance Sigma 4

Nach Eingang des Unfallberichtes von Dr. Kai Jürgens vom 04.05.01, habe ich alle namentlich bekannten Unfallzeugen, Remo Kutz, Mark Weisser, Ronni Sarholz, Michael Knipping, Hans- Peter Eller, Manfred Zenker und Dr. Kai Jürgens, telefonisch zum Unfallhergang befragt.

Aus dieser Befragung ergibt sich der nachfolgend geschilderte wahrscheinliche Ablauf des Unfalles.

1. Unfallablauf

Robert Steigleder, B- Schein Pilot mit 4 Jahren Erfahrung und regelmäßiger Flugpraxis, hatte zusammen mit seinem Freund Manfred Zenker, einen Streckenflug geplant. Am Startplatz wartete eine Anzahl Piloten auf den Beginn der Thermik. Die Flugschule Stubaital war mit einigen Flugschülern anwesend und führte Flüge durch.

Zum Zeitpunkt des Unfalles herrschten am Startplatz schwache Aufwindbedingungen. Nach einem problemlosen Vorwärtsstart ( dem einige, wegen des schwachen Windes, vergebliche Rückwärtsstart- Versuche vorausgegangen waren) flog Robert Steigleder in Richtung eines Steinbruches. Nach einem Flugweg von 50 - 100 Metern flog der Pilot frontal in eine starke thermische Ablösung ein. Der Schirm stellte sich auf und nickte anschließend weit nach vorne. Deutlich vor dem Piloten stehend, klappte die Kappe anschließend großflächig ein. Die Größe des Einklappers wird von den Augenzeugen unterschiedlich, zwischen 50% und 80% der Fläche, beschrieben. Eine sehr schnelle Drehbewegung zur Einklappseite folgte, nach ca. einer Umdrehung öffnete der Klapper selbständig, die Drehbewegung verlangsamte sich stark. Unmittelbar darauf beschleunigte der Schirm- mit nun vollständig offener Kappe- in eine Spiralbewegung nach unten. Die Schnelligkeit der Drehung wird unterschiedlich beschrieben. Remo Kutz, erfahrener Pilot und Michael Knipping, Fluglehrerassistent schildern die Drehbewegung als "enges Kurven" mit einer geschätzten Sinkgeschwindigkeit von ca. 6-8 Metern/Sek.. Dr. Kai Jürgens dagegen hat aus der Luft, einen sehr schnellen Spiralsturz mit ca. 80° Grad Schräglage der Kappe beobachtet (Spiraldrehungen sehen aus der Luft von oben betrachtet bei weitem schneller und spektakulärer aus, als bei Betrachtung vom Boden aus gleicher Höhe). Fluglehrer Hans- Peter Eller spricht von einem immer schneller werdenden, schließlich "steilspiralmäßigen" Kurvenflug. Nach drei Umdrehungen schlug Robert Steigleder frontal, mit Kopf und Oberkörper voraus, in felsigem Gelände auf. Die Höhe über Grund bei Eintritt der Störung wird von allen Zeugen auf ca. 150 Meter geschätzt.

Die am Startplatz anwesenden Piloten Ronni Sarholz und Mark Weisser eilten sofort zur Unfallstelle und leisteten dem Verunglückten Erste Hilfe. Wenig später trafen Dr. Kai Jürgens sowie eine Rettungsschwester mit Notfallkoffer ein und übernahmen die Versorgung von Robert Steigleder.

Trotz der schnellen Hilfe verstarb er noch am Unfallort.

 

2. Vorläufige Unfallanalyse

2.1. Pilotenverhalten

Alle Augenzeugen, die den Unfallablauf beobachtet haben, sprechen übereinstimmend davon, dass Robert Steigleder keinerlei Reaktion auf das Aufbäumen und Vorschießen des Schirmes, das Einklappen und den anschließenden Spiralsturz gezeigt hat. Aus einer Entfernung von 50 - 100 Metern hätte das Anbremsen der Kappe durch den Piloten, an der Wölbung der Hinterkante, für die Augenzeugen gut erkennbar sein müssen.

Eine Bewußtlosigkeit des Piloten ist auszuschließen, da er kurz vor dem Aufschlag einen lauten Schrei ausgestoßen hat, wie mehrere Zeugen bestätigen.

Eine denkbare Erklärung für die Passivität des Piloten wäre die Möglichkeit, dass er, bei Eintritt der Störung, die Steuerleinen nicht in den Händen gehabt haben könnte. Ohne Steuerleinen in den Händen ist eine Reaktion des Piloten auf eine derart heftige Störung nicht möglich.

Dass Piloten nach dem Start die Steuerleinen loslassen, zum Hineinrutschen ins Gurtzeug, oder Einschalten von Vario, GPS oder Funk, ist relativ häufig zu beobachten.

Manfred Zenker hat beobachtet, dass der Verunglückte zumindest kurz vor dem Aufschlag beide Bremsen in den Händen gehabt hat. Remo Kutz, der direkt neben Manfred Zenker stand, meint aber, dass eine zweifelsfreie Beobachtung dieses Details, wegen der Entfernung nicht möglich gewesen sei. Hans- Peter Eller ist sich sicher, dass der Pilot die Bremsen in Händen gehalten hat, der Schirm aber völlig unangebremst geflogen ist.

Die beiden Ersthelfer Ronni Sarholz und Mark Weisser, können sich nicht mehr genau daran erinnern, ob der Verunglückte, als sie ihn fanden, die Steuerleinen noch in den Händen hatte. Mark Weisser: "eher nein". Ronni Sarholz:" möglicher-weise eine, in der linken Hand".

2.2.Geräteverhalten

Beim Gleitschirm des Verunglückten handelt es sich um einen Advance Sigma 4, DHV- Kategorie 2, beschleunigt 2-3. Der Sigma 4 ist ein Leistungsflügel für sehr erfahrene Piloten.

Das von den Zeugen beobachtete Verhalten des Schirmes nach dem heftigen Einklapper aus der Nickbewegung nach vorne, ist für ein Gerät dieser Kategorie nicht ungewöhnlich. Die DHV- Testflugprotokolle attestieren der Sigma 4 Baureihe bei beschleunigten Einklappern ein schnelles Wegdrehen über 360° Grad mit großem Höhenverlust. Bei Einklappern aus einer Nickbewegung nach vorne, kann die Gerätereaktion durchaus dem Verhalten nach beschleunigten Einklappern gleichen.

Der nach der Öffnung des Einklappers aufgetretene Spiralflug ist folgendermaßen zu erklären:

Nach dem Einklappen kippt der Pilot in seinem Gurtzeug- durch die Entlastung des Tragegurtes- stark zur Kurven -(Einklapp-) seite. Bleibt das Körpergewicht nach der Wiederöffnung des Klappers weiterhin passiv auf der Kurvenseite- und erfolgt keine Korrektur mit den Steuerleinen- kann der Schirm u.U. selbständig in der Drehung bleiben. Dieses Geräteverhalten kann nur bei völliger Passivität des Piloten auftreten. Bereits ein geringer Aufrichteimpuls, durch Anbremsen oder Gewichtsverlagerung gegen die Drehbewegung, würde den Kurvenflug beenden.

3. Zusammenfassung

Es muss davon ausgegangen werden, dass Robert Steigleder, einen ruhigen Flug erwartend, von der starken Thermikablösung und der heftigen Reaktion seines Schirmes völlig überrascht worden ist. Eine sehr plötzlich eintretende, vollständige unerwartete extreme Flugsituation, kann zu einer Handlungsblockade führen, die selbst einfache koordinierte Aktionen unmöglich macht.

Bei zwei tödlichen Unfällen mit ähnlichen Ursachen in den vergangenen beiden Jahren, beobachteten Zeugen ebenfalls das Fehlen jeglicher Pilotenreaktionen.

Dass Robert Steigleder die Bremsen nicht in den Händen hatte und deshalb nicht aktiv eingreifen konnte, ist nicht völlig auszuschließen, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Bei der Untersuchung des Unfallgerätes durch das DHV-Technikreferat wurden keine Abweichungen vom Gütesiegel-konformen Zustand festgestellt. Das Verhalten des Gerätes in dieser Extremsituation ist keineswegs klassenunüblich.

Die Klassifizierung 2 ist definiert: "Anspruchsvolles Flugverhalten, dynamische Reaktion auf Störungen und Pilotenfehler"

Klassifizierung 2-3:" Anspruchsvolles Flugverhalten, sehr heftige Reaktionen auf Störungen. Geringer Spielraum für Pilotenfehler".

Karl Slezak

Sicherheitsvorstand